Guy David Briller | Kreuzberg
A Little Peace Stand, 2024
Guy David Briller (geb. 1970) ist ein jüdisch-israelischer multidisziplinärer Künstler, der mit diversen Medien – Performance, Video, Fotografie, Liveübertragung, Skulptur, Installation und Druck – und in den verschiedensten Bereichen von Kunst in der Öffentlichkeit arbeitet, mit Schwerpunkten auf den Aspekten Aktion, Dokumentation, Dialog und Orientierung. Seine Hassliebe für Jerusalem, die geteilte Stadt, in der er für viele Jahre gelebt hat, ist eines der Hauptthemen seiner Kunst. Briller zog vor zwölf Jahren mit seiner Familie nach Berlin und lebt und arbeitet jetzt in Kreuzberg. Sein Umzug in diese Stadt war Anregung zu neuen Interventionen im Stadtraum und Nachforschungen zu den engen Beziehungen zwischen dem Judentum und der deutschen Kultur.
In seiner ersten Erkundung schuf Briller das Projekt „Several Testimonies on the Short Life and Death of Alter J in Jerulin“ („Mehrere Zeugnisse über das kurze Leben und den Tod von Alter J in Jerulin“, 2012), in welchem er Jerulin erfand, einen Jerusalem und Berlin vereinenden utopisch-dystopischen Raum. In diesem Raum bewegt sich Briller hin und her zwischen der Gegenwart und dem historischen Gedächtnis der beiden Städte. Aufgeführt wurden die Aktionen vom Künstler selbst in Zusammenarbeit mit Partnern, unter anderem an Orten wie dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas oder dem Reichstag.
Im Jahr 2022 führte ihn die Reise in eine andere deutsche Stadt: Kassel. Dort, und zwar im Kontext der umstrittenen Documenta 15, stellte er eine Reihe von Aktionen zusammen unter dem Titel: „A Forgivness Journey – Eine Reise der Vergebung – Listen, Remembrance & a Cleanup“. Diese Aktionen fanden während der letzten zehn Tage der Ausstellung statt. Der zeitliche Rahmen war dabei mit Bedacht gewählt: Es handelt sich um die Periode im jüdischen Kalender, in der traditionellerweise Vergebung (Selichot) praktiziert werden soll. Die Hauptaktion bezog sich auf die Zensur von „People’s Justice“ (2012), dem kontroversen Wandgemälde des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi. Dieses Werk wurde aus der Ausstellung entfernt, weil es unter anderem zwei antisemitische Karikaturen von Juden enthielt. Gemeinsam mit Hestu A. Nugroho, einem Mitglied des Kollektivs, inszenierte Briller eine Reinigungszeremonie: Zusammen skizzierten sie den Rahmen des zensierten Gemäldes an dem Ort, von dem es entfernt wurde. Hestu betete das liturgische Lied „Herr der Vergebung“ und zündete Räucherwerk an, das anschließend auf dem nahegelegenen Platz verstreut wurde.
Brillers jüngste Aktion begann im Juni 2024, als Reaktion auf das Massaker und das Elend, welches Israel und Palästina seit dem 7. Oktober 2023 und dem andauernden Krieg in Gaza verzehrt. Briller richtete „A Little Peace Stand“ („Ein kleiner Friedensstand“) auf dem türkischen Markt am Maybachufer in Neukölln ein, nicht weit entfernt von seinem Studio. Der farbenfrohe Stand sieht aus wie ein bewegliches Künstleratelier, mit Druckerpresse, Bügelbrett und offenem Koffer. Briller bietet Aufnäher in verschiedenen Größen, T-Shirts und selbstentworfene Drucke zu günstigen Preisen zum Verkauf an. In der aus den Star Wars Filmen bekannten Schriftart „Star Jedi“ druckt er dergestalt diverse Friedens- und Antikriegsslogans wie etwa ‚Stop Wars‘, ‚Make Love‘, ‚Do Good‘ oder ‚There Is No Try and No Nation but Imagination‘. Die unerwarteten ‚Produkte‘ für den Frieden in der Auslage reizen die Passant*innen oft zum Nachfragen und führen manchmal zu unerwarteten und überraschenden Gesprächen. Einen Aufnäher verteilt der Künstler jeweils gratis. Darauf ist ein QR-Code zu finden, der Interessierte zur Website einer NGO namens Clean Shelter führt. Es ist dies eine Organisation, die von Seba Abu-Daqa, einem in München lebenden Palästinenser, und Tom Kellner, einem Israeli, der in Berlin lebt, gegründet wurde. Die Arbeit von Clean Shelter besteht darin, sanitäre Anlagen in Lagern für Displaced Persons in Gaza zu bauen.
Brillers kleiner Friedensstand, der sich in den Zwischenbereichen von Kunst und Kunsthandwerk, Punk Rock und Science Fiction, Humor und Tragik, Pazifismus und Ironie situiert und ein im Entstehen begriffenes Projekt ist, lässt sich als Ausdruck einer radikalen Hoffnung in dunklen und polarisierenden Zeiten sehen, als ein ernstgemeinter Anstoß zur Schaffung eines sozio-politischen öffentlichen Raumes für Reflexion, Imagination, für Debatten und Interventionen und möglicherweise für aktivistische Initiativen. Der Stand wird am 17. November 2024 zusammen mit anderen Werken des Künstlers in der KulturKirche nikodemus ausgestellt.